1. Sie wurden in Marburg geboren, haben aber lange Zeit in Saarbrücken gelebt und gearbeitet. Welche Erinnerungen aus dieser Zeit sind Ihnen geblieben? Gibt es Gerüche, Orte oder Menschen, die noch immer Nostalgie in Ihnen wecken?
Ja. Allerdings muss ich bei den Gerüchen auf eine andere Erinnerung zurückgreifen – auf meine Zeit als Zivildienstleistender in München. Der Geruch der U-Bahn dort ist fest mit dieser Lebensphase verbunden und hat bis heute eine nostalgische Komponente.
Orte in Saarbrücken, die mir in Erinnerung geblieben sind, gibt es natürlich viele. Am ehesten werden diese Erinnerungen übrigens wach, wenn ich die Orte tatsächlich wieder aufsuche. Die Moderne Galerie, die im weitesten Sinn klassische Moderne (aber auch Zeitgenössisches) zeigt, ist so ein Ort. Auch wenn ich lange nicht dort war, fühle ich mich sofort „zuhause“, wenn ich durch die Sammlung schlendere. Zugleich ist es oft ein fast surreales Gefühl – schließlich ist es 50 Jahre her, dass ich dort als Jugendlicher oft unterwegs war.
In Saarbrücken leben oder lebten viele Menschen, mit denen ich etwas ganz Besonderes verbinde – schließlich habe ich dort einige sehr prägende Jahre verbracht. Und ja, das hat etwas Nostalgisches, manchmal auch etwas Wehmütiges. Vor einigen Jahren hatte ich dort eine schöne Einzelausstellung – auf Einladung einer sehr guten Bekannten aus jener Zeit. Manche Verbindungen sind also tatsächlich geblieben.
Es gibt aber auch viele Orte meiner damaligen alltäglichen Spaziergänge, die inzwischen verschwunden sind – und mit ihnen die Menschen, die sie zu dem gemacht haben, was sie einmal waren.
2. Ihre Reise in die Kunst begann schon recht früh. Wann wurde Ihnen zum ersten Mal bewusst, dass Kunst nicht nur ein Interesse, sondern wirklich Ihr Weg war? Gab es einen Moment der „Erleuchtung“?
Meine erste starke ästhetische Erfahrung war das Küchenfenster meiner Oma, durch das ich auf die bunten Felder blickte. Das war im Grunde eine durch und durch museale Situation: vom Fenster gerahmt und hinter Glas auf Distanz. Und dahinter die farbigen Felder – allen voran die gelben Raps-Rechtecke!
Erleuchtung? Eine Kollegin von mir hatte ein regelrechtes Erweckungserlebnis. Bei einer Beuys-Ausstellung wurde ihr schlagartig klar, dass sie so etwas auch machen will. Mit so etwas kann ich leider nicht aufwarten. Im Grunde zeichne ich, seit ich denken kann. Wann und wie das genau anfing, weiß ich nicht. Seit wann ich das Gefühl habe, Künstler zu sein, ebenso wenig – „irgendwie“ seit immer. Ich schätze, dass mir mit etwa 17 Jahren klar wurde, dass Kunst mein Weg sein sollte.
3. Wie erinnern Sie sich an Ihre Studienzeit in Kassel? Wie war die Stimmung in der Kunstszene damals? Was haben Sie in dieser Zeit über sich selbst entdeckt?
Die Zeit des Studiums war natürlich ein großes Abenteuer – wir waren alle Helden der Kunst :-) In meiner Klasse herrschte vor allem eins: Freiheit. Wir haben uns ausprobiert und gemacht, wozu wir Lust hatten. Unser Professor hat uns in keine Richtung gedrängt. Einmal in der Woche gab es „Korrektur“ – das war aber eigentlich nur ein freier Austausch zwischen den Studentinnen, Studenten und dem Professor.
Sehr wichtig für mich war die Bibliothek der Uni: In zahllosen Büchern, Magazinen und Journalen konnten wir uns über die zeitgenössische Welt der Kunst auf dem Laufenden halten und uns „inspirieren“ lassen.
4. Sie haben ziemlich schnell Anerkennung gefunden, zum Beispiel als einer der ersten Preisträger des Kulturpreises der Stadt Kassel. Was hat Ihrer Meinung nach am meisten zu diesem Erfolg beigetragen? Beharrlichkeit? Beziehungen? Oder etwas anderes?
Eine schöne Anerkennung war das natürlich! Wie es dazu kam, dass wir – ich zusammen mit zwei Kollegen – diesen Preis bekommen haben, weiß ich gar nicht. Aber ich würde seine Bedeutung nicht zu hoch hängen wollen. Dafür war er, ehrlich gesagt (zumindest damals), noch zu unbedeutend – aber es macht sich natürlich gut in der Biografie.
Persönlich kann ich nur sagen: Auf Beziehungen oder Netzwerken habe ich nie gesetzt – ich habe nie systematisch daran gearbeitet, auf diesem Weg Anerkennung zu finden. Vielleicht war das nicht besonders klug, aber ich bin einfach nicht der Typ dafür. Das soll allerdings kein allgemeiner Ratschlag sein: Netzwerken ist in der Kunstwelt ein wichtiger Faktor – es erhöht die Sichtbarkeit der eigenen Arbeit, und oft ergeben sich daraus neue Möglichkeiten. Aber man muss das wirklich wollen, und es war nie mein Ding.
Wichtig ist für mich selbst vor allem Beharrlichkeit – um meine Möglichkeiten auszuloten und mich weiterzuentwickeln.
Anerkennung (die ja nicht dasselbe ist wie Erfolg, oder?) ist natürlich wichtig. Dafür sind regelmäßige Ausstellungen von großer Bedeutung – und auch Einladungen, sei es zu Gedichtbänden, Zeitschriften oder sogar Forschungsprojekten, bei denen man in irgendeiner Form mitwirken darf. Das ist wirklich schön: Die Arbeiten werden sichtbar, und solche Projekte sind eine schöne Form der Anerkennung. Das fühlt sich immer gut an.
Was ich nicht unterschlagen sollte: Heute sind natürlich auch das Internet und die sozialen Medien eine wichtige Quelle der Anerkennung. Meine Bilder kommen dort gut an – das ist eine schöne Sache. Noch wichtiger aber sind die vielen Kontakte, die sich darüber ergeben – irgendwie automatisch, quasi ohne bewusstes und systematische Netzwerken. Fast alles, was ich in den letzten zehn oder zwanzig Jahren (oder mehr) gemacht habe, hängt in irgendeiner Weise mit dem Internet zusammen.
5. Heute engagieren Sie sich aktiv in verschiedenen Kunstinitiativen wie Kunstbalkon und Hugenottenhaus. Welchen Rat würden Sie jungen Künstlern geben, die in der Kunstwelt gesehen und anerkannt werden möchten? Was sollten sie über die Realität dieses Berufs wissen?
Zunächst: Man braucht Ausdauer, Leidenschaft – und die richtigen Kontakte. Betonung auf „richtig“. Wie man die findet? – Dafür habe ich keinen Tipp. Talent allein reicht jedenfalls nicht. Entscheidend ist Beharrlichkeit: also dranbleiben, auch wenn es schwierig wird. Und das meint nicht nur den Umgang mit Rückschlägen, sondern die tägliche Arbeit – das Ringen mit der Kunst, mit Zweifeln, mit dem Markt – und mit sich selbst.
Wer gesehen werden will, muss sich zeigen. Ausstellen, präsent sein, Gelegenheiten nutzen. Kontakte sind entscheidend – Galerien, Kuratorinnen, Kritiker, Sammler – also die üblichen Verdächtigen, aber man muss auch gemacht sein dafür, sie zu knüpfen. Vielleicht gehört auch ein wenig Glück dazu. Oder der richtige familiäre Hintergrund. Ich war für all das nie so richtig der Typ.
Heute entstehen Sichtbarkeiten natürlich auch über das Netz: Instagram, eigene Websites, digitale Projekte. Auch das ist keine Garantie – aber es schafft Räume, in denen etwas entstehen kann, natürlich auch Ausstellungen und Verkäufe.
Zur Realität gehört: Die meisten Künstlerinnen und Künstler – über 90 % – können nicht allein von ihrer Kunst leben. Ein Brotjob nebenher ist die Regel. Das hat durchaus Vorteile: Man bleibt unabhängig und kann machen, was man will. Eine Freundin aus dem Studium, die später erfolgreich in die Werbung ging, erzählte mir einmal von ihrem damaligen Mann – einem Mitstudenten und Freund von mir, der leider viel zu früh gestorben ist. Für ihn war es zermürbend, ständig versuchen zu müssen, die richtigen Leute kennenzulernen, immer bei den „richtigen“ Events zu sein – und es am Ende doch nicht zu schaffen. So etwas kann sehr an einem zehren. Auf diese Weise macht man den Misserfolg gleichsam "präsent" - das ist bestimmt nicht schön.
Trotz alledem: Studien – und auch meine Erfahrung – zeigen, dass Künstlerinnen und Künstler überdurchschnittlich oft mit ihrer Arbeit zufrieden sind. Vielleicht, weil sie etwas tun, das ihnen wirklich etwas bedeutet.
6. Wenn Sie Ihrem 20-jährigen Ich, einem jungen, aufstrebenden Künstler, begegnen könnten, was würden Sie ihm sagen? Was würden Sie ihm dringend raten, zu lernen, sei es in der Kunst oder im Leben?
Ich glaube, das wäre hoffnungslos – ich hätte ja nicht auf mich gehört.
(Heute denke ich manchmal, dass ich zweigleisig hätte fahren sollen: dass ich meinen künstlerischen Weg und meine philosophische Neugier besser hätte verbinden müssen.)
7. Was inspiriert Sie heute? Woher kommen Ihre Ideen normalerweise?
Ich denke manchmal: Nicht ich habe die Ideen, sondern die Ideen haben mich – sie „fallen“ mir zu. Deshalb nennt man sie wohl auch Einfälle. Wie das genau funktioniert, weiß ich nicht.
Viele Ideen entstehen durch äußere Einflüsse, manchmal auch durch Zufall. Ein Beispiel: Vor einiger Zeit habe ich eine Zeichnung gemacht, auf der eine kopflose Figur in einem Kittel zu sehen ist, darüber der Schriftzug „Ruhezone“. Das war eigentlich gar keine bewusste Idee – es hat sich einfach so ergeben. Ich hatte irgendwo ein Foto gesehen, das mich anschaute; darauf war eine Person mit genau so einem Kittel abgebildet. Das war mir eine Skizze wert. Aus irgendeinem Grund – den ich heute nicht mehr kenne – habe ich beim Zeichnen (ausnahmsweise) nicht mit dem Kopf begonnen, wie sonst immer, sondern mit dem Kittel und den Füßen. Als dann der Kopf „dran“ gewesen wäre, habe ich kurz innegehalten und beschlossen, dass die Zeichnung auch so schon ihren Witz hat – und damit war sie fertig.
Später kam ein weiterer Zufall ins Spiel: Wegen einer geplanten Ausstellung beschäftigte ich mich mit dem Begriff „Zone“, da die Ausstellungsfläche damals in mehrere Zonen unterteilt war. Dabei fiel mir zufällig wieder die kopflose Zeichnung in die Hände – und ich ergänzte den Schriftzug „Ruhezone“.
Das ist natürlich nicht der einzige Weg, wie mich Ideen finden. In den letzten Jahren werde ich regelmäßig zu Ausstellungen eingeladen, die thematisch bestimmten Schwerpunkten gewidmet sind. Meist arbeite ich dann so, dass ich relativ „wahllos“ Texte zum Thema lese, mir Videos ansehe usw. (Ich habe auch schon KI-Recherchen gemacht.) Ich füttere mich gewissermaßen mit geeignetem Material – in der Hoffnung, dass sich daraus etwas ergibt. Manchmal nehme ich auch ältere Zeichnungen wieder zur Hand und überarbeite sie. Dabei entstehen oft überraschende Konstellationen, auf die ich allein nicht gekommen wäre.
Dabei arbeite ich auch als eine Art Zensor: Ideen, die zu nah am Thema liegen oder zu platt sind, sortiere ich aus. Wichtig ist, dass ich das Gefühl habe, der zeichnerische Gedanke ist stimmig – aber zugleich offen, faszinierend und rätselhaft. Wenn ich ihn selbst zu gut „verstehe“, ist er meistens nichts wert.
In glücklichen Momenten funktioniert das Zeichnen ganz von allein. Oft entstehen die Ideen überhaupt erst im Zeichnen. Seit einiger Zeit beginne ich zwar gelegentlich mit einer gewissen Vorstellung davon, wie das Ergebnis aussehen könnte – aber auch dann kann sich im Prozess etwas völlig anderes ergeben.
Wie lässt sich das zusammenfassen? Gibt es einen roten Faden?
Für mich ist die Autonomie des Werks entscheidend. Es geht nicht um mich – sondern um die Zeichnung. Und doch: Ohne mich gäbe es diese Zeichnung nicht. Mit dieser seltsamen, aber unvermeidbaren Konstellation muss ich irgendwie zurechtkommen.
8. In Ihren Projekten gibt es oft eine Verbindung zwischen Bildern und Text. Wie wichtig ist Ihnen der Dialog zwischen Worten und Bildern? Kommt es vor, dass zuerst ein Text entsteht, gefolgt von einem Bild, oder umgekehrt?
In der Regel entsteht zuerst die Zeichnung. Dann hoffe ich auf das „erlösende Wort“ – wenn ich das Gefühl habe, dass noch etwas fehlt: vielleicht ein Störer, eine Irritation, eine neue Richtung oder einfach eine Assoziation, ein Witz oder etwas in der Art. Manchmal gibt das Wort der Zeichnung auch erst den richtigen Dreh – es benennt, was ich da eigentlich gemacht habe, was mir vielleicht gar nicht klar war. Dabei ist übrigens auch die Optik entscheidend: Wo steht das Wort? Welche Farbe hat es? (Gerade das ist besonders wichtig!)
Die Schrift, mit der ich schreibe, ist übrigens kaum meine Handschrift, die ist total unleserlich. (Ich schreibe übrigens sehr ungern von Hand.) Was man da sieht, ist eher meine Schulschrift, meine Schönschreibschrift. Ich hab auch nichts dagegen, wenn man dabei an die Schrift von Magritte denkt, die er unter die gemalte Pfeife gesetzt hat.
9. Gibt es einen Gegenstand oder ein Objekt aus Ihrer Vergangenheit, das Sie über die Jahre begleitet hat? Was bedeutet es für Sie?
Mein Körper. Der bedeutet mir sehr viel. (Aber im Ernst: Eigentlich hab ich sowas nicht.)
10. Wenn Sie die Augen schließen und versuchen, sich an Ihre Kindheit oder Jugend zu erinnern, welche Szene kommt Ihnen als Erstes in den Sinn? Warum gerade diese?
Ich antworte auf diese Frage mit einer Zeichnung.
